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Die Mystik der Glocken



Die Wurzeln der Glocke liegen ungefähr 5000 Jahre zurück und sind in China zu verorten. Anfangs nutzte man Klingsteine und später dann Frucht- und Klangschalen, aus denen sich mit der Zeit die Glocken entwickelten. Die ältesten Glocken stammen aus der Shang-Dynastie etwa 1600–1027 v. Chr. Sie wurden mit der Mündung nach oben montiert, besaßen keinen Klöppel und wurden von außen mit Schlägeln angeschlagen. Texte aus der Zhou-Dynastie (1027–221 v. Chr.) belegen, dass Glocken in China damals vor allem eine kultische Rolle spielten, sie wurden bei Staatszeremonien, Begräbnissen und religiösen Ritualen verwendet.


In China gaben die Glocke die „richtige“ Tonhöhe für die höfische Musizierpraxis vor, die neben den Glocken aus Harfen, Zithern, Flöten, Trommeln und Klappern bestand. Jeder Kaiser konnte den Stimmton neu festlegen. Der als göttlich aufgefasste Klang der Glocke war das kosmische Prinzip, ihre Form und Größe das weltliche Maß der Dinge. Ihr Hohlraum war zugleich eine Volumenmaßeinheit für Getreide. Soldaten wurde angezeigt, dass sie sich in einem „gerechten Krieg“ befinden, wenn zu den Heerestrommeln auch Glocken verwendet wurden.


Die Handglocke, Ghanta genannt, ist ein unverzichtbares Instrument im tibetisch-buddhistischen Ritus. Die Vorliebe im Buddhismus gilt jedoch ebenfalls der großen Glocke. Eine der größten klingenden Glocken weltweit ist die Mingun-Glocke in Myanmar. Sie wiegt 90 Tonnen und hat einen Durchmesser von fünf Metern. Für die Glocke wurde eigens ein Tempel geplant, der jedoch nie fertiggestellt wurde und das ganze Land finanziell ruinierte. Die Neubau-Ruine ist heute noch zu besichtigen.


In Europa ist der Begriff Glocke wurde aus dem altirischen clocc (‚Schelle, Glocke‘) entlehnt, während seit dem 4. Jahrhundert im galloromanischen Gebiet die Glocke unter der lateinischen Bezeichnung sīgnum (‚Kirchenglocke‘) benannt wird. Iroschottische Wandermönche verbreiteten im 6. Jahrhundert ihre kunstvollen Glocken im christlichen Gottesdienst in ganz Europa, zunächst wahrscheinlich als Handschellen.


Der erste bekannte Sakralbau, der am Giebel mit Glocken behängt wurde, war ein Jupitertempel in Rom. Im Mittelalter wurde es üblich, auf Klosterkirchen und später auch auf anderen Gotteshäusern Glocken in kleinen Dachreitern zu platzieren. Seit dem 10. und 11. Jahrhundert entstanden hohe, zum Tragen des Glockenstuhls errichtete Türme. Kirchtürme nahmen Jahrhunderte später auch die mechanischen Werke der Turmuhren auf.


Für die ersten Glocken wurde von Schmieden meist Eisenblech verwendet und vernietet. Seit dem 9. Jahrhundert werden Kirchenglocken überwiegend mittels Bronzeguss hergestellt. Die meisten Gießereien verwenden dafür auch heute noch das traditionelle Lehmformverfahren, ausgenommen für den Guss von Kleinstglocken.


Dieses Verfahren wurde im 12. Jahrhundert entwickelt und von Friedrich Schiller in seinem bekannten „Lied von der Glocke“ beschrieben: „Fest gemauert in der Erden / Steht die Form, aus Lehm gebrannt. / Heute muss die Glocke werden! / Frisch, Gesellen, seid zur Hand! / Von der Stirne heiß / Rinnen muss der Schweiß, / Soll das Werk den Meister loben; / Doch der Segen kommt von oben.“


Als Termin für den Guss wird traditionell der symbolträchtige Freitagnachmittag um 15 Uhr – die Sterbestunde Jesu Christi – gewählt. Dabei erhält jede Glocke einen Namen. Im Wiener Stephansdom hängt die Pummerin, der Dicke Pitter in Köln, Sigismund heißt die größte Glocke Tschechiens und Saufang die älteste Glocke Deutschlands.


Im Christentum fungierte die Glocke nicht nur als akustisches Symbol für die Verkündigung der christlichen Botschaft. Praktische Bedeutung hatte sie in den frühen Mönchsgemeinschaften, weil sie zu den sieben Gebetszeiten läutete und somit den Tag strukturierte. Wie die GENAUE Zeit für das Gebet allerdings gemessen wurde, ist im Blog Von der Sonnenuhr zum Computer – Historie der europäischen Zeitrechnungnachlesbar.


Kirchenglocken oder andere Turmglocken werden mit einem harten Hammer oder Klöppel angeschlagen, damit möglichst weithin hörbare Obertöne erzeugt werden. Für den Gesamtklang der Glocke müssen die zahlreichen Obertöne durch eine entsprechende Formgebung in ein harmonisches Verhältnis zueinander gebracht werden.


Früher wurden Glocken auch als Signalgeber eingesetzt. Schiffsglocken als akustisches Signalinstrument sind seit dem 16. Jahrhundert bis heute unentbehrliche Bestandteile eines jeden Schiffes. Die Glockenschläge, Glasen genannt, wurden für die Angabe der halben Stunde, des vierstündigen Rhythmus der Seewache, die ausgesteckte Länge der Ankerkette sowie bei Nebel und schlechter Sicht verwendet.


Kleine Kuhglocken machen entlaufene Herdentiere auffindbar. Bauernglocken durften bei drohender Not oder Gefahr von jedem Dorfbewohner geläutet werden. Mit etwas größeren Warnglocken konnten Militärposten das Lager vor einem gegnerischen Angriff warnen. Und wie weit ein Glockenklang zu hören war, konnte im Spätmittelalter auch als Maß für die Ausdehnung eines Gebietes dienen, in welchem die Rechtsprechung Gültigkeit haben sollte, etwa „...so weidt als man büden band vnd klockengeleudt hort“.


Bienenkorbglocken (des Titelbildes) sind Musikinstrumente, die üblicherweise ihren Platz in größeren Sets und Glockenspielen finden. Die aus dem Mittelalter stammende Glockenform verdankt ihren Namen unübersehbar der Gestalt der aus Roggenstroh geflochtenen Bienenwohnungen.


Anders als Kirchenglocken, die in ihrer gewölbten Gestalt auf einen komplexen harmonischen Mehrklang ausgelegt sind, erzeugt das Anschlagen einer Bienenkorbglocke nur einen, dafür besonders klaren und reinen Ton – dann jedenfalls, wenn man bei ihrer Fertigung hohe Maßstäbe anlegt und reine Glockenbronze verwendet, deren Zinnanteil extrem rein sein muss (üblicherweise 99,99%).


Der Guss erfolgt in einer Sandform, in die jede Glocke einzeln eingeformt wird. Ihren perfekten Klang erhält sie erst durch die sorgsame Nachbearbeitung des Rohlings, der zunächst um etwa einen halben Ton höher als der gewünschte gestimmt ist. Erst durch das „Abdrehen“ von Hand – das Entfernen der Gusshaut auf der Außenseite der Glocke, im Inneren bleibt sie, wie sie ist – und durch das Polieren wird ihr Klang bei abnehmender Materialstärke um ein weniges tiefer und trifft so schließlich, gewissermaßen von Hand gestimmt, ihren exakten Ton.


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