Die Stimme ist ein Organ, dessen Muskeln wir trainieren und somit verändern können. Ihre Funktion ist abhängig vom Luftstrom, also von der Art wie wir atmen. Unser Atem wiederum wird beeinflusst von unserer Körperhaltung und unserem Körpertonus, da die Atemmuskulatur (ausgenommen dem Zwerchfell) gleichzeitig unsere Auftrichtemuskulatur ist. Die Körperhaltung wiederum ist enorm abhängig von unserem Befinden, unserer Stimmung, unserer Psyche.
Damit ist klar, dass die Arbeit an der Stimme auch Arbeit an der Persönlichkeit ist und es Bereitschaft und Mut erfordert, sich selbst ehrlich zu betrachten und an sich arbeiten zu wollen. Man lernt sich selbst dabei viel intensiver kennen und v.a. auch auszudrücken. Und die Entwicklung der eigenen Ausdruckskraft wie der verhilft zu mehr Selbstbewusstsein und innerer Sicherheit, unabhängig von äußeren Einflüssen.
Mit der Stimme und durch sie übermittelt der Sprechende seine Emotionalität. Bis auf gut trainierte Schauspieler kann er gar nicht anders, als seine aktuell vorherrschende Gefühlslage in der Stimme mitzuteilen, die den anderen in ähnlicher Weise ergreift, wie er selbst gestimmt und ergriffen ist. Dabei formen Ängste genauso den Klang, wie sich auch die Freude in den Schallschwingungen überträgt.
Wir urteilen über andere Menschen, indem wir ihre Atmung, ihre Sprechmelodie, Artikulation, Lautstärke, die Klangfarbe, Tonhöhe, das Sprechtempo, die Akzentuierung, Phrasierung und die Pausengestaltung interpretieren. Sprechbegleitende Faktoren kommen hinzu: Gestik, Mimik, Körperhaltung, Bewegung, auch die Gesamtspannung. All dies formt das akustische Abbild eines Menschen und damit unsere Urteile über ihn. Die Interpretation stimmlicher Äußerungen läuft unwillkürlich ab. Unsere Einstellung und Lebenserfahrung entscheiden mit über die Güte des Urteils.
Der Mensch kann seine Stimme besonders energiesparend und klangvoll verwenden, wenn er mit seiner „Normalstimme“, auf seinem konstitutionell begründeten mittleren Sprechton spricht. Diese Mühelosigkeit wiederum überträgt sich als eutonisiertes Sprechen auf den eigenen Körper ebenso wie auf den Zuhörer, der diese Stimmlage als besonders angenehm empfindet. (Siehe Blog „Die Kraft des individuellen Grundtons“)
Die Stimme vermittelt auch biografische Erfahrungen. Die persönliche Sprechweise hat sich mit den Erfahrungen und auf Basis der persönlichen Lebensgeschichte entwickelt. Im akustischen Persönlichkeitsbild spielt aber nicht nur der Stimmklang eine Rolle, sondern auch die Wortwahl.
Jeder Mensch muss ständig, abhängig von der gesellschaftlichen Umgebung, unterschiedliche soziale Rollen erfüllen. In der Familie, im Beruf, im Freundeskreis ordnet er seine Stimme den verschiedenen Anforderungen unter. Sie passt sich an die jeweilige soziale Gegebenheit, denn jede Rolle verlangt bestimmte Sprechweisen und besondere Formen der Stimmproduktion wie auch andere kommunikative Vorgehensweisen bei der Gesprächsführung und im Verhalten.
Muss ein sanfter Mensch plötzlich Autorität zeigen (z.B. als Lehrer in der Klasse), wird er versuchen, in seiner Stimme Autorität klingen zu lassen. Über die Stimme versucht er, der Rollenerwartung gerecht zu werden, obwohl er dies als Person vielleicht gar nicht kann. Viele Stimmprobleme haben in solchen Rollenkonflikten ihren Ursprung. (Dem Thema der kranken Stimme möchte ich einen eigenen Blog widmen.)
Die Vertrautheit und das Einlassen auf die Wirkung unserer Stimme zentriert uns, gibt uns Kraft. Die Vibration und das Gefühl der Resonanz bringen uns in Kontakt mit uns selbst und unserem Körper. Vor allem beim Singen ist man ganz „im Moment“ und das kann positive Emotionen verstärken oder negative auflösen.
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